Dienstag, 10. Januar 2012

10 Spain. East Spain >> Algeciras/Gibraltar

Am 21.9.06 bin ich in Spanien angekommen. Gleich die ersten bescheidenen Versuche, mit der Bevölkerung in Kontakt zu treten. Das ging, indem ich in einem Ort zwei Tage blieb, mir einen kleinen Supermarkt auswählte und mit den Verkäuferinnen ein paar Sätze austauschte. Wichtig auch hier, nicht erst eine gewisse Zeit abzuwarten, sondern sofort die ersten Sprachversuche zu unternehmen, damit die Hemmungen verschwinden.
In Spanien verbrachte ich eine längere Zeit, zusammen 1 Jahr und 8 Monate. Die Tour führte mich zunächst entlang der Mittelmeerküste bis Gibraltar, danach bis Mazagon (Huelva), wo ich einen Teil des Winters 2007 verbrachte. Jede Nacht im Zelt. 
Ab Frühlingsbeginn 2007 fuhr ich um die 1.000 km quer durch Spanien (Ciudad Real, La Mancha) zurück nach Cullera (Valencia), ließ meine Sachen dort, um mit dem Flugzeug zurück nach Italien zu fliegen. Ich folgte einer Einladung in das Camping nach Sizilien (Messina). Dort blieb ich 7 Monate, vertiefte mein Italienisch, trainierte mit einem gebrauchten Rennrad, was mir zum Verhängnis wurde. Wegen eines technischen Schadens stürzte ich, brach mir dabei das Schlüsselbein durch und landete erstmal für zwei Wochen im Krankenhaus. 
Im Spätherbst 2007 fuhr ich wieder mit dem Rad zurück nach Mazagon, überwinterte und startete zu Frühlingsbeginn 2008 eine lange Tour durch Europa. Es ging durch Spanien nordwärts, Frankreich, Südengland, Irland bis hoch nach Nordschweden, Finnland. Dann durch das Baltikum, Polen, Slowakei und Ungarn (Budapest). Von dort zurück mit Rad und Gepäck per Flug nach Madrid.
Weiter mit dem Rad zurück nach Mazagon. Überwinterung und Start 2009 zurück nach Deutschland (Berlin) mit dem Rad und Zelt.
Es würde den Rahmen dieses Blogs und meiner Zeit sprengen, im Detail diese weitere Reise wiederzugeben. Deshalb beschränke ich mich auf Impressionen und interessante Erfahrungen.
In einem Camping in der Nähe von Calella ruhte ich mich bei sonnigem Wetter ein paar Tage aus. Während der Nächte, besonders an den Wochenenden, fiel mir auf, dass Spanien laut ist. Diese Zeit war noch vor der Finanzkrise. Man war unbesorgt und ausgelassen. Nach langen Barbesuchen kamen die Leute erst gegen  drei oder vier Uhr nachts, Lärm machend, zurück. In Italien hatte ich das nicht so empfunden. Mit ein paar Gästen des Campings versuchte ich, Spanisch zu sprechen, was anstrengend war. Eine Angestellte in der Rezeption machte mich darauf aufmerksam, dass sie eigentlich Katalan spricht.
Ich durchquerte ohne Mühe Barcelona. Dort gibt es viele Radwege, was die Sache erleichterte. Nachdem ich Valencia passiert hatte, fand ich in Cullera eine Bleibe für mein Zelt und hielt mich dort bis Mitte Dezember 06 auf. 
Um diese Zeit ist es sehr ruhig an den meisten Küsten Spaniens. Kaum Touristen. Die Promenaden sind verwaist. Ab und zu huscht mal eine Katze über den Gehweg. Der Seewind nagt permanent an den Fassaden der Gebäude. Gerüste künden von Reparaturarbeiten. Die Spanier kommen für das Wochenende aus den Großstädten, wie Madrid oder Valencia, in ihre Zweitwohnungen am Meer, um sich etwas zu entspannen. Sonst stehen die Wohnungen außerhalb der Sommersaison während der Woche größtenteils leer. Mir kam in den Sinn, dass diese Ressourcen so nicht sinnvoll genutzt werden. Während des Baubooms wurden auch viele Wohnungen angeschafft, um erstmal zu besitzen oder zu spekulieren. In Spanien wird in der Regel eine Immobilie nicht gemietet, sondern gekauft. Das zu 80%. Die Kredite werden zu variablen Zinssätzen aufgenommen. Die Zinshöhe bestimmt der aktuelle Euribor.
Die Kreditlaufzeiten liegen in Spanien zwischen 30-40 Jahren, d.h., das Vererben von Schulden ist nichts ungewöhnliches. Wegen dieser Situation hat Spanien ein großes Interesse daran, dass die Zinsen der EZB niedrig gehalten werden. Ebenfalls ist eine erhöhte Inflation im Sinne der spanischen Schuldner. Bisher war es so, dass die Gehälter quasi automatisch der Inflation angepaßt wurden. Also, während des Booms betrug die Inflationsrate um die 4,5 %. Damit stiegen die Gehälter in der Folge ebenfalls um mindestens 4,5 %. Ökonomen vertreten die Ansicht, dass die Gehälter in Spanien 20-22% zu hoch sind, was erhebliche Wettbewerbsnachteile mit sich bringt.         
Die Fotos oben, aufgenommen in der Nähe von Cullera, zeigen riesige Apfelsinenplantagen.  
In Cullera hatte ich großes Glück. In der Rezeption des Campings arbeitete eine intelligente, interessierte Frau aus Venezuela, mit einem Spanier verheiratet. Mit ihr konnte ich jeden Tag Spanisch sprechen. Die Südamerikaner sind im allgemeinen sehr freundliche, offene Menschen. Dagegen erschienen mir die Leute aus dem Norden Spaniens eher verschlossener, was die Konversation erschwerte. Die Andalusier in Südspanien waren weitaus zugänglicher, sprachen aber dafür nicht das sogenannte Castellano, das Hochspanisch. Dieses wird vor allem in der Gegend von Toledo gesprochen.
Inzwischen kaufte ich mir ab und zu die führende spanische Zeitung "El Pais", um Fortschritte zu machen. Dabei fiel mir in einer Finanzbeilage zum Wochenende ein langer Artikel auf, in dem englische Fachleute vor der Immobilienkrise warnten. Ich zeigte ihn der Frau aus Venezuela. Sie lächelte etwas. Es war nicht real, denn Spanien boomte fast vor Übermut. Mehr als 1,5 Jahre später brach die Krise aus. Sie hält bis heute an und die Zukunft sieht im Augenblick nicht gut aus.
Während der spätherbstlichen Zeit gibt es in der Gegend von Valencia das "Gota fria"-Wetterphänomen. Das ist ein eiskalter, starker Dauerregen, der mehrere Tage ununterbrochen anhalten kann. Ich erlebte das zweimal an dieser Küste, wie immer, auch im Zelt. Jedoch, niemals kamen mir Zweifel zu meiner Tour oder eine schlechte Stimmung auf.
Wie konnte es sein, dass die Psyche trotz der teils hohen Belastungen über vier Jahre beständig stabil blieb und vielfach Glücksgefühle hatte ?  Immer ein Ziel vor Augen. Ich glaube, Ziele zu haben, das ist das Leben.  
Weiter ging die Reise über Denia, Xabia, Calp nach Benidorm, wo ich am 18.12.06 eintraf. Benidorm ist ein touristischer Anziehungspunkt an der spanischen Mittelmeerküste. Viel Sonne, im Winter vorwiegend ein mildes Klima. Eine schöne, bergige Umgebung, die ich mir zum Teil mit dem Rad erschloß.
  
Weiter  mit dem Rad auf der Nationalstraße N332, die mehr oder weniger der Mittelmeerküste folgt. Wie man sieht, hat sie einen breiten Seitenstreifen, den ich gerne genutzt habe. Dies trifft übrigens für viele spanische Nationalstraßen zu. Ich erreichte am 18.12.06 den Ort El Campello (Alicante), wo ich bis zum 18.01.07 blieb. Zu Beginn meines Aufenthaltes dort war es sogar noch möglich, im Meer zu baden.
Impressionen von der Umgebung Alicante/Benidorm:
Am 20.1.07 startete ich in Los Alcazares über Cartagena nach Aguilas (Murcia). Die Distanz betrug 115 km bei 1300 Hm (Höhenmeter). Die Strecke war also sehr bergig. Diese Angaben machte mein Fahrradcomputer, der einen Höhenmesser hatte und die Höhenunterschiede pro Strecke summierte. Mit der Zeit gewöhnt sich der Körper zwar an diese Belastungen. Trotzdem, mit einem Gepäck von mindestens 35 kg und Wasservorrat, war das doch jedes Mal eine echte Anstrengung.
Eine Dose Bier schmeckte dann wie ein Glas Champagner. Ich hatte auch das Gefühl der totalen Ausarbeitung und gesunden Müdigkeit. Die täglich neuen Eindrücke ließen kein Gefühl der Einsamkeit oder Traurigkeit aufkommen. Ich war mir schon bewußt, eine Sache zu machen, die wunderschön war. Es war immer meine Entscheidung, mich diesen Anstrengungen auszusetzen.
 

Wie schon so oft während meiner Reise, machte ich auch in Aguilas einige Tage Rast im Camping und nutzte die Zeit, mit Spaniern in Kontakt zu treten, die Zeitung zu lesen, um das Land besser zu verstehen. Mit dem Rad, ohne Gepäck, schaute ich mir ausgiebig die Umgebung an und machte Fotos.
Es war noch die Zeit vor der Krise. Ein nicht mal 30-jähriger sagte mir, er würde sich noch ein, zwei Wohnungen kaufen, Aktien hätte er ebenfalls. Sein Ziel war es, bald genug zu haben, um mit der Arbeit aufhören zu können. Mir kam das nicht ganz geheuer vor. Viele Leute dachten, das würde immer so weitergehen. Der Boom lief schon fast 15 Jahre. Das Wort "Krise" kannten die jungen Leute gar nicht. Diese allgemeine Stimmung gab mir zu denken.
Dagegen, im Inland Spaniens waren die Leute auf dem Boden geblieben, lebten bescheiden, aber nicht schlecht und schienen mir mit ihrem Leben zufrieden zu sein.
Das Panorama, oben Mitte, ist mir in guter Erinnerung. Vor der verdienten Abfahrt hielt ich erstmal an, um den Verlauf der Straße zu verfolgen. Eine Weile bergab mit etlichen Kurven, dann wieder am Horizont ansteigend. Die Aufnahme zeigt ebenfalls den Ausbau der spanischen Infrastruktur mit teils besseren Straßen, als wir sie in Deutschland haben. Das untere Foto rechts ist leider ein in Spanien bekanntes Beispiel für das willkürliche Errichten von Hotels an der Küste. Der Bau erfolgte illegal. Es sollte abgerissen werden, steht jedoch noch da, wie ich der spanischen Presse entnehmen konnte. 
Am 7.2.07 fuhr ich von Aguilas 112 km in die Nähe von S. Jose. Die Strecke war wieder sehr bergig. 1300 Hm kamen zusammen. Ich kann mir nicht mehr erklären, wie mein Körper und Psyche das ständig ausgehalten haben. Es ging nicht um Wochen oder Monate, sondern um Jahre. Heutzutage ist mir das ein Rätsel.
Auf dem Foto ist eine karge Gegend Südspaniens zu erkennen. Die einsame Straße schwingt sich durch die Landschaft und entschwindet in der "Kimme" am Horizont. Dort hinüber mußte ich noch an diesem Tag, besser gesagt, Abend.
Am 8.2.07 weiter über Almeria nach Roquetas de Mar. Nur 58 km entfernt bei 460 Hm. Aber es wehte an diesem Tag ein heftiger Gegenwind. Außerdem regnete es zeitweise, so dass mir nur meine Goretex-Ausrüstung weiterhalf.
Das Interessante beim Radfahren ist, dass man sich noch nach Jahren an Details erinnern kann. Das liegt einmal an der Langsamkeit der Fortbewegung, die dem Gehirn das Aufnehmen der Informationen gestattet, andererseits prägen sich Momente der Anstrengung, so denke ich, besser ein.
Nach meinen heutigen Erfahrungen sollte man solch eine Tour nach 2,5 Jahren beenden. Mit der Zeit verlor ich die Realität zu meiner körperlichen Leistungsfähigkeit. Der Körper funktionierte jeden Tag wie eine Maschine aus Stahl. Das Gehirn ging allmählich in einen leichten Rauschzustand über. Ich fühlte mich ein wenig euphorisch. 
Am 11.2.07 legte ich 108 km (800 Hm) wiederum bei starkem Gegenwind zurück und erreichte ein Camping in der Nähe von Motril. Das reine Radfahren und Kennenlernen der Länder wollte ich nicht. Es sollte ein Ergebnis geben, nämlich sich etwas in die Gesellschaft integriert zu haben. Das war mir sehr wichtig.
Am 14. 2.07 nach Torre del Mar (Malaga) mit starkem Gegenwind. Nur 65 km, aber mit 670 Hm sehr bergig. An diesem Tag lag die Durchschnittsgeschwindigkeit bei nur 13,8 km/h.
Am 18.2.07 schaffte ich es fast bis in die Höhe von Gibraltar. Ein langes Stück von 154 km Länge, wieder frischer Gegenwind und 1040 Hm. Leider mußte ich diese km auf viel befahrenen Schnellstraßen (auf dem Seitenstreifen) zurücklegen und kam schließlich die letzten 20 km in die Dunkelheit. Das war überhaupt nicht angenehm. Während dieses Tages durchquerte ich Malaga und Marbella. Diese Stadt konnte mich nicht begeistern. An die Strände war kaum ein Herankommen. Hotels davor mit Promenaden oder Terassen. Auf einmal, bereits am späten Nachmittag, konnte ich Afrika mit seinen funkelnden Lichtern sehen. Ein toller Augenblick für eine kurze Pause.
In der Dunkelheit konnte ich leider nicht bemerken, wie sich die Farbe der südspanischen Landschaft änderte. Bedingt durch den nahen Atlantik regnet es oft und dieser Umstand läßt diese Gegend sehr grün erscheinen.
Fast so grün, wie in England, obwohl am äußersten Südzipfel Spaniens gelegen. Gibraltar besuchte ich nicht, sondern fuhr sogleich durch Algeciras. Danach war eine sehr lange Steigung zu nehmen. Bis auf ungefähr 360 m über dem Meeresspiegel.
Ein Auto der Guardia Civil überholte mich und hielt wenig später an der Straßenseite an. "Wollen die was von mir ?", dachte ich. Gerade, als ich langsam vorbeifuhr, streckte sich eine Hand aus dem Autofenster und reichte mir - eine halbe, geschälte Orange. Eine nette Geste Spaniens, die ich in meinem ganzen Leben nicht vergessen werde.
Über meine Weiterfahrt an die Costa de la Luz berichte ich im nächsten Post.



  
  
   


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